Ein Kiffer bei AA

Ein Kiffer bei AA

Paul B.

In dem folgenden Text möchte ich meine Geschichte teilen mit einem besonderen Fokus darauf, wie ich als Kiffer bei den Anonymen Alkoholikern gelandet bin.

Zum Cannabis- und Alkohol-Konsum bin ich wie die meisten anderen Leute gekommen: Eines Tages habe ich entdeckt, dass ich mich wesentlich angenehmer fühle und viel mehr Spass habe, wenn ich konsumiere. Damals war ich zwölf. In sozialen Situationen fiel es mir leichter mich zu entspannen und mich als Teil der Welt zu fühlen wenn ich breit war. Später kam wie selbstverständlich das Feierabendbier oder die Entspannungstüte, die ich immer öfter auch allein genossen habe, um einen schönen Abend einzuläuten. Ich hatte keine Bong-Jugend und habe auf die Dauerkiffer arrogant herabgeschaut. Ich dachte immer, ich hätte einen sehr gechillten und erwachsenen Umgang mit Drogen.

Als ich nach dem Abi von zuhause auszog, wurde mein Konsum mehr und regelmäßiger – aber das fand ich auch voll OK im Zivi und im Studium. Negativ beschäftigt haben mich vor allem meine immer stärker werdenden Depressionen.

Über die nächsten 15 Jahre hinweg habe ich das Kiffen immer öfter benutzt, um eine Pause von meinem Kopf zu bekommen – als „Selbstmedikation gegen meine Depressionen“. Teilweise mit Anderen, aber immer öfter allein wenn mir Gesellschaft zu viel wurde. Als diese Wirkung des Haschisch, die Pause von mir, immer weniger funktionierte und meine Schuld-, Scham- und Wertlosigkeits-Gefühle auch durch die breitesten Benommenheitsnebel hindurchgrölten, fing ich an, immer mehr und mehr Bier zum Kiffen zu trinken. Ungefähr ein Jahr lang funktionierte das noch recht passabel und meine allabendliche Freundschaft mit Couch, Rausch und Netflix konnte in die nächste Runde gehen. Aber da ich schon voll auf der Überholspur der Toleranzentwicklung war, bedeutete auch dies nur einen Aufschub von kurzer Dauer. Außerdem war ziemlich schnell Schluss mit „High-Function-High“. Zuverlässiger Kollege und guter Papa zu sein, Freundschaften aufrechtzuerhalten, meine Partnerschaft zu pflegen und schließlich auch das Kümmern um die banalsten Dinge wie Duschen und Essen wurden mir zunehmend unmöglich. Am Ende war es ein Kraftakt, zum Pinkeln aufzustehen, da ich solche Angst hatte, dass dabei die Welt über mir zusammenschlagen könnte. Konfrontiert mit der Sitaution, meinen Gefühlen und der Welt immer schlechter entfliehen zu können, steigerten sich meine Suizid-Wünsche auf ein lebensgefährliches Level. Durch beharrliche Unterstützung meines Umfelds habe ich schließlich den Absprung geschafft – zum Glück in die Psychiatrie statt von der Brücke. Allerdings wollten die Ärzte in der Psychiatrie mich nicht aufnehmen, als ich ihnen ehrlich von meinem Konsum erzählt habe und ehrlich antworten musste ich, denn fürs Vertuschen war ich zu stolz. Meine verdrehte Logik war: Wenn ich Vertuschung nötig hätte, hätte ich ja auch ein ernstes Problem. Solange ich nicht vertusche, habe ich also auch kein Suchtproblem.

So bin ich in die Entgiftung der Klinik Hohe Mark in Oberursel geschickt worden. Und das war das Beste, was mir bis dahin seit langem passiert war. Absolut fürchterlich und verzweifelt und hoffnungslos. Aber ein großes Glück. Denn als Leute aus der AA-Junge-Leute-Gruppe gekommen sind und mir glaubhaft versichern konnten, dass es ihnen mal genauso ging – und sie eine Lösung haben, konnte ich meinen Stolz und alles was ich zu wissen glaubte über Bord werfen. Und ehrlich verstehen, dass ich nicht länger nach meinen eigenen Vorstellungen leben konnte, die mich an meinen Tiefpunkt geführt hatten, sondern Hilfe von einer „Macht größer als ich selbst“ annehmen konnte. Das waren für mich erstmal alle in der Gruppe, die schon länger nüchtern waren als ich (am Anfang also alle) und insbesondere mein Sponsor.

Aber ich hatte auch Vorbehalte, vor allem was das Kiffen anging. Bei AA sagen doch alle immer, dass sie „Alkoholiker“ sind, und was das anging war ich mir zu Anfang noch nicht so sicher. Ich hatte zwar schon verstanden, dass Sucht eben Sucht ist und die 12 Schritte die Richtung sind, in die es für mich weitergeht. Aber Alkoholiker? Was mir in meiner Suche nach Identität und Zugehörigkeit in den AA-Gruppen viel Sicherheit gegeben hat war im Nachmeeting mit den zahlreichen polytoxen Leuten aus der Junge-Leute-Gruppe zu sprechen und andere 12-Schritte-Gruppen anzuschauen (CA und NA), in denen ich sehr detailliert über meinen Haschisch-Konsum sprechen konnte. Trotzdem ist mir schnell klar geworden, dass die Junge-Leute-Gruppe meine Homegroup werden würde, weil ich mich da einfach am wohlsten gefühlt habe. Heute – zwei Jahre später – kommt es mir in Meetings, beim Gespräch mit Freunden und Kollegen und im Gebet ohne Stocken über die Lippen, dass ich Alkoholiker bin. Und darin kann ich mich mit meinem ganzen Gefühl für meine Krankheit Sucht wiederfinden. Es spielt für mich einfach keine Rolle mehr, welche Substanz mir am liebsten war, ich werde sowieso nie wieder irgendwas konsumieren.